Strafrechtsreform.


Die Regelungen des 6. Strafrechtsreformgesetzes
("Strafrahmenharmonisierung")

Stand:  März 1998

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1 Grundsätze

1.1 Handlungsbedarf für den Gesetzgeber

Unser geltendes Strafrecht hat seine Wurzeln in der Gründerzeit des Kaiserreichs, also der Zeit der beginnenden Industriegesellschaft, in der die finanziellen Interessen sehr viel stärker berücksichtigt wurden als der Schutz vor Angriffen auf die Person. Das ist der wichtigste Grund dafür, daß das Strafgesetzbuch immer noch für Eigentums- und Vermögensdelikte, selbst für Urkundendelikte, höhere Strafen vorsieht als für Körperverletzungsdelikte.

Nach dem geltenden Recht liegt zum Beispiel die Höchststrafe für einen Messerstecher, dem nur Körperverletzungsvorsatz nachgewiesen werden kann, auch dann bei fünf Jahren, wenn das Opfer mehrere Wochen schwerverletzt auf der Intensivstation behandelt werden muß. Bedroht der Täter dagegen das Opfer lediglich mit dem Messer und zwingt es dadurch zur Herausgabe seines Portemonnaies, sieht das Gesetz eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor, die Höchststrafe liegt dann bei 15 Jahren.

In diesem Fall und ähnlichen Konstellationen zeigt das geltende Strafrecht Unstimmigkeiten. Die Wertordnung des Grundgesetzes, insbesondere der hohe Rang des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, legen es nahe, diese Wertungswidersprüche aufzuheben und die Strafrahmen, also die Grenzen, innerhalb derer der Richter die Strafe in einem konkreten Fall festlegen muß, im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches (StGB), der die Strafdrohungen für die einzelnen Delikte regelt, so zu harmonisieren, daß sie die Wertordnung einer modernen Gesellschaft widerspiegeln.

Im Verbrechensbekämpfungsgesetz aus der vergangenen Legislaturperiode wurde ein erster Schritt in diese Richtung unternommen, vor allem durch die Angleichung der Strafdrohungen für Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte. Die Harmonisierung war bewußt auf wenige Delikte beschränkt worden: "Eine darüber hinausgehende Harmonisierung von Strafdrohungen innerhalb des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches … würde den Rahmen dieses Entwurfs sprengen und muß deshalb anderen Vorhaben vorbehalten bleiben." (Begründung zum Entwurf des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, BT-Drucksache 12/6853 S. 26). Schon zu diesem Zeitpunkt bestand eine breite Übereinstimmung darüber, daß die Strafrahmen des materiellen Strafrechts insgesamt mit dem Ziel einer Harmonisierung zu überprüfen sind. Zum Ausdruck kam das nicht zuletzt bei den Beratungen über den Antrag der SPD-Fraktion "Harmonisierung der Strafrahmen" (BT-Drucksache 12/6164), insbesondere bei der Erörterung im Rechtsausschuß am 16. Juni 1994.

In ihrer Koalitionsvereinbarung vom 14. November 1994 haben die Regierungsparteien CDU, CSU und F.D.P. deshalb festgeschrieben, daß die "Strafrahmen auf ihre Stimmigkeit untereinander unter Einbeziehung des Einbruchsdiebstahls in Wohnungen" zu überprüfen und dieses Vorhaben "unverzüglich in Angriff" zu nehmen sei.

1.2 Der Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz

Das 6. Strafrechtsreformgesetz beruht auf einem Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz, der schwerpunktmäßig

  • die mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeleitete Harmonisierung der Strafrahmen des Strafgesetzbuches fortsetzt,
  • im Zuge dieser Harmonisierung Strafvorschriften ergänzt und neu faßt, soweit es erforderlich erscheint, den Strafschutz zu verbessern und die Rechtsanwendung zu erleichtern, und
  • nicht mehr zeitgemäße oder entbehrlich gewordene Strafvorschriften aufhebt.

1.2.1 Grundsatz der Harmonisierung der Strafrahmen

Die Strafrahmen werden mit dem Ziel harmonisiert, den höchstpersönlichen Rechtsgütern wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit ein höheres Gewicht gegenüber materiellen Rechtsgütern wie Eigentum, Vermögen und Sicherheit des Rechtsverkehrs zu verleihen. Dabei werden die Strafrahmen auch innerhalb der jeweiligen Deliktsgruppen sachgerecht aufeinander abgestimmt.

Um zu einem in sich stimmigen Gesamtgefüge zu gelangen, werden – über die mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz bereits vorgenommenen Veränderungen hinaus – bestimmte Strafrahmen im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte verschoben und einzelne Strafrahmen aus dem Bereich der Vermögensdelikte hierzu in ein Verhältnis gebracht, das der geänderten Wertordnung entspricht.

1.2.2 Beispiele für Verschiebungen der Strafrahmen

Die Veränderungen an den Strafrahmen im Bereich des Schutzes höchstpersönlicher Rechtsgüter ergeben sich im wesentlichen aus Tabelle 1. Die Verschiebungen im Bereich der Vermögensdelikte bzw. der Delikte zum Schutz der Sicherheit des Rechtsverkehrs, die dazu dienen sollen, eine im Verhältnis zum Schutz der höchstpersönlichen Rechtsgüter angemessene Gewichtung zu gewährleisten, sind aus Tabelle 2 ersichtlich.

 

Tabelle 1: Strafrahmenveränderungen bei höchstpersönlichen Rechtsgütern

Tatbestand

bisherige Rechtslage

künftige Rechtslage

Mindeststrafe

Höchststrafe

Mindeststrafe

Höchststrafe

Besonders schwerer Fall des sexuellen Kindesmißbrauchs § 176 III Satz 1

1 Jahre

10 Jahre

1 Jahr

15 Jahre

Vergewaltigung mit Todesfolge § 177 III

5 Jahr

15 Jahre

10 Jahre

lebenslang

Minder schwerer Fall des Totschlags

§ 213

6 Monate

5 Jahre

1 Jahr

10 Jahre

Aussetzung des eigenen Kindes § 221 II

6 Monate

5 Jahre

1 Jahr

10 Jahre

Gefährliche Körperverletzung § 223 a

3 Monate

5 Jahre

6 Monate

10 Jahre

Besonders schwere Körperverletzung § 225 II

2 Jahre

10 Jahre

3 Jahre

15 Jahre

Minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge § 226 II

3 Monate

5 Jahre

1 Jahr

10 Jahre

Besonders schwere Fälle der Kindesentziehung § 235 II

6 Monate

10 Jahre

1 Jahr

10 Jahre

 Tabelle 2: Strafrahmenverschiebungen im Bereich der Vermögensdelikte (usw.)

Tatbestand

bisherige Rechtslage

künftige Rechtslage

Mindeststrafe

Höchststrafe

Mindeststrafe

Höchststrafe

Geldfälschung

§ 146

2 Jahre

15 Jahre

1 Jahr

15 Jahre

Besonders schwere Fälle des Betrugs / Computerbetrugs / der Untreue §§ 263 III 263 a II

266 II

1 Jahr

10 Jahre

6 Monate

10 Jahre

Versicherungsbetrug

§ 265

1 Jahr

10 Jahre

6 Monate

10 Jahre

Besonders schwerer Fall der Urkundenfälschung / Fälschung technischer Aufzeichnungen / Fälschung beweiserhebl. Daten §§ 267 III

268 V

269 III

1 Jahr

15 Jahre

6 Monate

10 Jahre

1.2.2.1 Reformbedarf bei den Raubdelikten

Auch das Strafrahmengefüge bei schwerem Raub (§ 250 StGB) – und dementsprechend auch bei schwerem räuberischem Diebstahl und schwerer räuberischer Erpressung (§§ 252, 255 jeweils i.V.m. 250 StGB) – bedarf der Korrektur. Insoweit seien Problem und Lösungsvorschlag an dieser Stelle beispielhaft etwas näher erläutert.

Für (einfachen) Raub (§ 249 StGB) gilt eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe. Führt der Täter eine Schußwaffe oder auch eine sonstige Waffe, bzw. ein "Werkzeug oder Mittel" mit sich, um den Widerstand des Opfers durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu überwinden oder auch schon zu verhindern, schreibt § 250 Abs. 1 StGB eine Mindeststrafe von fünf Jahren vor. Dieser erhebliche Sprung von einem Jahr auf fünf Jahre hat im Ergebnis zu einer nicht mehr tragbaren Entwicklung geführt:

Die Strafgerichte empfanden diese in § 250 Abs. 1 StGB angedrohte Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren für eine Reihe von Fällen, die nach dem Gesetzeswortlaut zwingend als schwerer Raub eingestuft werden müssen, als zu hoch und neigten deshalb stark dazu, auf den Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle in § 250 Abs. 2 StGB (ein Jahr bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) auszuweichen. Das hat zu einem so hohen Anteil (75 bis 80%) von Verurteilungen wegen eines minder schweren Falles geführt, daß das vom Gesetzgeber gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den Absätzen 1 und 2 des § 250 StGB durch die Gerichte mittlerweile umgekehrt wurde.

Der Bundesgerichtshof spricht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1989 in diesem Zusammenhang bemerkenswert deutlich von "Unzuträglichkeiten", die nach geltendem Recht nur "auf der Rechtsfolgenseite im Wege der Strafzumessung ausgeglichen werden" könnten.

Um eine angemessene Bestrafung der schweren Raubdelikte zu ermöglichen, sieht das Reformgesetz eine abgestufte Problemlösung vor:

  • Die Höchststrafdrohung von fünfzehn Jahren bleibt unverändert.
  • Die Mindeststrafdrohung für den Regelfall der in Rede stehenden Delikte wird differenziert ausgestaltet: Sie soll künftig bei drei Jahren Freiheitsstrafe liegen, wenn der Täter z. B. entweder eine Waffe lediglich bei sich führt, wovon das Opfer u.U. nichts bemerkt; dagegen wird sie insbesondere für die Fälle bei fünf Jahren Freiheitsstrafe bleiben, in denen das Opfer schwer oder gar lebensgefährlich verletzt wird, der Täter eine Waffe nicht nur bei sich führt, sondern auch verwendet, und in denen eine bewaffnete Bande tätig wird.
  • Bei den minder schweren Fällen wird die Höchststrafdrohung von fünf auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben.

Die hier etwas ausführlicher dargestellte mögliche Strafrahmenverschiebung beim schweren Raub (§ 250 StGB) illustriert exemplarisch, daß eine Bewertung der Harmonisierungsmaßnahmen des Reformgesetzes nicht auf die Frage der Anhebung oder Absenkung des Strafrahmens bei einem bestimmten Delikt beschränkt werden kann, sondern vielmehr den systematischen Gesamtzusammenhang, die Gewichtung des Unrechtsgehalts aller betroffenen Straftatbestände und deren Verhältnis zueinander zugrunde legen sollte.

1.2.2.2 Einbruchdiebstahl in Wohnungen

Im Rahmen dieser Reform wird auch eine falsche Gewichtung innerhalb der Vermögensdelikte korrigiert. Beim Diebstahl soll bei der die Opfer besonders belastenden Form des Einbruchsdiebstahls in Wohnungen nach §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB Freiheitsstrafe von sechs (statt wie bislang drei) Monaten bis zu zehn Jahren angedroht werden.

1.3 Ergänzung und Neufassung von Strafvorschriften

Mit der Ergänzung und Neufassung von Strafvorschriften werden Strafbarkeitslücken geschlossen, Auslegungsschwierigkeiten beseitigt, in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht veraltete Tatbestandsfassungen den heutigen Erfordernissen angepaßt und die Strafvorschriften in ihrem Aufbau und Sprachgebrauch insgesamt vereinheitlicht. Betroffen davon sind vor allem die Brandstiftungsdelikte; einzelne Änderungen ergeben sich auch bei den Körperverletzungsdelikten sowie bei Diebstahl und Unterschlagung.

Durch die Neufassung des Straftatbestandes der Kindesentziehung sollen ferner Strafbarkeitslücken bei der heimlichen Wegnahme von Kleinstkindern, der Verbringung von Kindern in das Ausland sowie bei Erscheinungsformen des kommerziellen und organisierten Kinderhandels geschlossen werden.

Schließlich sei auch erwähnt, daß die besonders schweren Fälle der Nötigung, des Betruges und der Urkundenfälschung zwecks Gewährleistung einer einheitlichen Handhabung um Regelbeispiele ergänzt werden.

1.3.1 Aufhebung von Strafvorschriften

Beispielsweise wird der nicht mehr zeitgemäße Straftatbestand des Auswanderungsbetruges (§ 144 StGB) gestrichen. Auch der Tatbestand der Kindestötung (§ 217 StGB) wird als entbehrlich aufgehoben.

1.4 Inkrafttreten

Das 6. Strafrechtsreformgesetz tritt am 1. April 1998 in Kraft.

2 Einzelne Deliktsbereiche

2.1 Körperverletzungsdelikte

Das Reformgesetz sieht einige Neuerungen bei den Körperverletzungsdelikten vor. Unter anderem ist der Versuch der Körperverletzung jetzt generell strafbar. Bislang war der Versuch der einfachen Körperverletzung - Beispiel: wuchtiger Faustschlag, der zufällig nicht trifft - nicht strafbar.

Gefährliche Körperverletzungen (bisher § 223 a StGB) werden einem höheren Strafrahmen (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren gegenüber drei Monaten bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) unterstellt. Die bislang in § 229 StGB gesondert geregelte Vergiftung wird in den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (jetzt § 224 StGB) einbezogen.

Auch die Strafdrohungen für die bislang in § 223 b StGB geregelte Mißhandlung von Schutzbefohlenen - z.B. von Kindern - werden erhöht; der Strafrahmen im neuen § 225 reicht für den Grundtatbestand künftig von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, für den neuen Qualifikationstatbestand, der etwa die Gefahr einer erheblichen körperlichen oder seelischen Entwicklungsstörung erfaßt, von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe.

Verursacht der Täter absichtlich oder wissentlich bestimmte schwere Folgen der Körperverletzung – z. B. Verlust des Sehvermögens, dauernde erhebliche Entstellung, Lähmung, Verlust eines Gliedes –, beträgt der Strafrahmen künftig Freiheitsstrafen von drei Jahren bis zu 15 Jahren (bisher: von zwei Jahren bis zu zehn Jahren) Freiheitsstrafe.

2.2 Sexualstrafrecht

2.2.1 Sexueller Mißbrauch von Kindern

Das bislang geltende Recht sieht für den sexuellen Mißbrauch von Kindern im Regelfall einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (§ 176 StGB) vor. Für besonders schwere Mißbrauchsfälle beträgt die Strafdrohung Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Der Strafrahmen für besonders schwere Fälle wird allgemein als unbefriedigend empfunden; zum Vergleich wird etwa angeführt, daß ein Handtaschenräuber mit einer Strafe bis zu 15 Jahren rechnen muß, während für besonders schwere Mißbrauchsfälle bislang maximal zehn Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden konnten.

In der rechtspolitischen Diskussion wurde vorgeschlagen, generell für sexuellen Kindesmißbrauch eine Mindeststrafe von einem Jahr und eine Höchststrafe von 15 Jahren vorzusehen. Auch die Befürworter einer derartigen Gesetzesänderung mußten jedoch einräumen, daß damit bei den weniger schwerwiegenden Fällen keine befriedigende Lösung möglich ist. Das Gesetz soll nämlich alle denkbaren Mißbrauchsfälle erfassen, also auch solche, die nicht unbedingt härteste Sanktionen erfordern. So macht sich z. B. ein Achtzehnjähriger grundsätzlich durch einen Zungenkuß mit seiner knapp 14jährigen Freundin strafbar, selbst wenn das Mädchen einverstanden ist. Zum Schutz der sexuellen Entwicklung von Kindern soll es nach allgemeiner Überzeugung bei dieser Strafbarkeit bleiben, aber eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr scheint für derartige Fälle zu hoch gegriffen.

Deshalb enthält das Reformgesetz eine differenzierte Lösung mit verschiedenen Vorschriften, die nach der Schwere der Tat abgestuft sind und auf diese Weise auch die Belange des Opfers besser berücksichtigen:

  • Wird durch den sexuellen Mißbrauch der Tod des Kindes leichtfertig verursacht, liegt der Strafrahmen bei lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren (bis zu 15 Jahren, § 176 b). Diese Vorschrift wird neu eingeführt.
  • Wird das Kind bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder in Lebensgefahr gebracht, beträgt die Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren (§ 176 a Abs. 4). Auch diese Vorschrift ist neu.
  • Erfolgt die Tat zur Herstellung insbesondere kommerzieller Kinderpornographie, beträgt die Freiheitsstrafe zwischen zwei und fünfzehn Jahren (§ 176 a Abs. 2 neu).
  • Für schweren sexuellen Mißbrauch liegt der Strafrahmen zwischen einem Jahr und 15 Jahren. Dazu zählen die Fälle, in denen der Täter den Beischlaf mit einem Kind ausführt oder die Gefahr schwerer körperlicher oder seelischer Schäden des Kindes hervorruft (§ 176 a Abs. 1). Insofern werden die bisher in § 176 enthaltenen Regelbeispiele in einer eigenen Vorschrift als selbständige Tatbestände erfaßt. Neu ist, daß auch die von mehreren gemeinschaftlich begangene Tat und die Tatwiederholung innerhalb von fünf Jahren nach einer entsprechenden rechtskräftigen Verurteilung unter diesen Strafrahmen fallen.
  • Nach dem Reformgesetz ist der schwere sexuelle Kindesmißbrauch ein Verbrechen (bislang: Vergehen), und diese Einordnung hat weitere Konsequenzen:

- Strafbar ist schon die bloße Verabredung zum schweren sexuellen Mißbrauch. Künftig können also Eltern bereits dafür bestraft werden, daß sie ihre Kinder jemandem für einen schweren Mißbrauch – etwa einen Beischlaf – "anbieten", selbst wenn der andere nicht auf dieses "Angebot" eingeht.

- Ein Strafverfahren wegen schweren sexuellen Mißbrauchs kann nicht – etwa gegen eine Geldbuße – eingestellt werden.

  • In den übrigen Fällen bleibt es bei der bisherigen Regelung (i. d. R. Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahre).

2.2.2 Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen

Auch der Schutz widerstandsunfähiger – d.h. vor allem auch geistig behinderter – Menschen wird verbessert. Zwar werden diese Personen bereits von den allgemeinen Strafbestimmungen gegen sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geschützt. Es bedarf jedoch zusätzlich eines speziell auf diesen Personenkreis zugeschnittenen Strafrechtsschutzes. Diesen Schutz leistet bereits jetzt die Strafnorm in § 179 StGB. Der Strafrahmen für den Grundtatbestand wird aber nun – entsprechend der Strafdrohung für den Grundtatbestand des sexuellen Kindesmißbrauchs – auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren angehoben. Überdies enthält das Gesetz neue Qualifikationstatbestände, die weitgehend mit denen bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung korrespondieren.

2.2.3 Sexueller Mißbrauch in Therapieverhältnissen

Durch eine neue Strafbestimmung (§ 174 c) wird der sexuelle Mißbrauch bei Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses unter Strafe gestellt. Zwar gibt es im Strafgesetzbuch bereits eine Reihe von Vorschriften, die auch den Mißbrauch in Behandlungsverhältnissen erfassen können, wie zum Beispiel die Strafvorschriften gegen sexuelle Nötigung bzw. gegen den sexuellen Mißbrauch Widerstandsunfähiger. Einen umfassenden Strafschutz geistig oder seelisch beeinträchtigter Menschen leistet jedoch erst der neue § 174 c. Dieser erfaßt Mißbräuche in Psychotherapieverhältnissen sowie Übergriffe bei der Betreuung geistig behinderter bzw. bei der Beratung suchtkranker Menschen. Mißbräuche in solchen Abhängigkeitsbeziehungen können ab 1. April 1998 mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.

2.2.4 Sexuelle Nötigung/Vergewaltigung

Das Kernanliegen der Reform – Beseitigung von Wertungswidersprüchen – erforderte auch eine Änderung der Strafrahmen bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung, obwohl diese Vorschriften letztmalig erst Mitte des vergangenen Jahres geändert worden waren. Der Wertungswiderspruch wird vor allem bei dem Vergleich mit den strukturell entsprechenden Strafvorschriften bei schwerem Raub deutlich: Für Vergewaltigung droht das geltende Recht durchweg eine wesentlich niedrigere Mindeststrafe an als für schweren Raub. Die Lösung besteht in der Einführung neuer Qualifikationstatbestände, die mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren (§ 177 Abs. 3 neu, z. B. bei Mitführen einer Waffe) und mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (§ 177 Abs. 4 neu, z. B. bei körperlich schwerer Mißhandlung) bedroht sind. Mit dieser Angleichung an die Neuregelungen zum schweren Raub wird das bislang für den Regelfall festgelegte Mindestmaß (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren) erheblich verschärft, wenn es um besonders gravierende Fälle der Vergewaltigung geht.

Hinweis: Zwischen dem Juli 1997 und dem April 1998 waren damit drei verschiedene Fassungen – einschließlich der jetzt in Kraft getretenen Neuregelung – der Strafvorschriften gegen Vergewaltigung / sexueller Nötigung gültig. Eine detaillierte Information über die verschiedenen Gesetze ist beim Pressereferat des Bundesministeriums der Justiz erhältlich.

2.3 Kindesentziehung / Kinderhandel

Kinder sind im geltenden Strafrecht nicht vollkommen lückenlos gegen Kindesentziehung geschützt. Lücken ergeben sich bei der heimlichen Wegnahme von Kleinstkindern, der Verbringung von Kindern ins Ausland und bei einigen Erscheinungsformen kommerziellen (organisierten) Kinderhandels. Das Reformgesetz enthält zwei Vorschriften, die die Kindesentziehung (gegen den Willen des / der Sorgeberechtigten) und den Kinderhandel (mit Billigung der Eltern) umfassend unter Strafe stellen.

2.3.1 Kindesentziehung

Bislang wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, "wer eine Person unter 18 Jahren durch List, Drohung oder Gewalt ihren Eltern, ihrem Vormund oder ihrem Pfleger entzieht" (Kindesentziehung, § 235). Dadurch sind alle diejenigen Fälle erfaßt, in denen der Täter z. B. gegenüber dem Kind, aber auch gegenüber den Eltern List, Drohung oder Gewalt anwendet. Gegenüber einem Säugling kommen diese Tatmittel jedoch nicht in Betracht, so daß diese Strafvorschrift (ebenso wie diejenige gegen Freiheitsberaubung) nicht angewendet werden kann. Wer einen Säugling oder ein Kleinstkind unbeobachtet aus einer Wohnung entführt oder aus einem z. B. vor einem Geschäft abgestellten Kinderwagen nimmt, macht sich deshalb nicht wegen Kindesentziehung strafbar; auch andere Strafvorschriften greifen nicht.

Das gleiche gilt in den Fällen, in denen der Täter oder die Täterin List, Drohung oder Gewalt nicht anwenden oder ihnen dies – in der Praxis gleichbedeutend – nicht nachgewiesen werden kann. Praktisch relevant wird diese Konstellation, wenn ein Kind gegen den Willen des Sorgeberechtigten ins Ausland verbracht wird: Gegebenenfalls müßte dann etwa nachgewiesen werden, daß der Täter von Anfang an die Absicht hatte, das Kind nicht mehr nach Deutschland zurückzubringen und sich nicht erst nach einem Urlaub im Ausland (mit dem der – andere – Sorgeberechtigte einverstanden war) entschlossen hatte, das Kind dort zu lassen. Bislang ist eine Strafverfolgung in diesen Fällen selbst dann nicht möglich, wenn der Täter nach Deutschland zurückkehrt.

Als ebenfalls sehr unbefriedigend wird empfunden, daß der Versuch einer Kindesentziehung bisher nicht strafbar ist. Die damit verbundene Unstimmigkeit wird besonders bei der Parallele zum Diebstahl (von Sachen) deutlich, bei dem auch der Versuch unter Strafe steht. Würde jemand bei dem Versuch ertappt, einen Säugling in einem unbeaufsichtigten Kinderwagen wegzufahren, wäre der Täter nicht wegen (versuchter) Kindesentziehung, wohl aber wegen versuchten Diebstahls des Kinderwagens strafbar – ein untragbarer Wertungswiderspruch.

Das Reformgesetz beseitigt diese Lücken und Unstimmigkeiten. Es erweitert die bestehende Regelung neben der Versuchsstrafbarkeit um folgende Vorschriften:

  • Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren kann auch derjenige bestraft werden, der ein Kind dem / den Sorgeberechtigten entzieht, ohne Angehöriger zu sein, auch wenn weder Gewalt noch List oder Drohung angewendet wurden (§ 235 Abs. 1 Nr. 2);
  • ebenso wird derjenige bestraft, der ein Kind einem Sorgeberechtigten entzieht, um es ins Ausland zu verbringen ("aktive" Entführung) oder das Kind dem Sorgeberechtigten im Ausland vorenthält ("passive" Entführung, § 235 Abs. 2);
  • mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird die Kindesentziehung dann bestraft (§ 235 Abs. 4), wenn

    - das Opfer schwere Gesundheitsschäden erleidet oder erheblich in seiner körperlichen oder seelischen Entwicklung geschädigt wird;

    - die Tat gegen Bezahlung oder zur Bereicherung des Täters oder eines Dritten geschieht (bislang lag der Strafrahmen für Kindesentziehung aus Gewinnsucht bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren).

2.3.2 Kinderhandel

Strafbarkeitslücken bestehen auch in den Fällen, in denen Eltern Säuglinge oder Kleinstkinder "verkauft" haben. Das Reformgesetz sieht hier – ausgehend von einem Bundesratsentwurf (BT-Drucks. 13/6038) – folgende Regelungen vor:

  • Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren werden Eltern bestraft, die ihr Kind wie ein Stück Ware an andere "verkaufen", ebenso die "Käufer" des Kindes (§ 236 Abs. 1);
  • mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Vermittler des Kinderhandels (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, wenn das Kind dabei über die Grenzen Deutschlands herein- oder hinausgebracht wurde; § 236 Abs. 2). Diese Vorschrift entspricht einer Vorschrift des Adoptionsvermittlungsgesetzes, die aufgehoben wird;
  • in schwerwiegenden Fällen liegt der Strafrahmen bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren; dabei handelt es sich um kommerziellen oder bandenmäßig organisierten Kinderhandel sowie um Taten, durch die die körperliche oder seelische Entwicklung des Kindes erheblich gefährdet wird (§ 236 Abs. 4).

2.4 Brandstiftungsdelikte

Das Reformgesetz regelt die Brandstiftungsdelikte (§§ 306 ff.) neu. Die bisher geltenden Vorschriften haben in vielerlei Hinsicht Kritik auf sich gezogen. Neben verfehlten rechtsdogmatischen Ansätzen werden zumindest in zwei Punkten auch unbefriedigende praktische Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen moniert:

  • Zum einen werden im bisherigen § 308 Objekte von strafbaren Brandstiftungen in einem Katalog aufgezählt, der nur mit den Grundsätzen einer längst überholten Wirtschaftsordnung erklärt werden kann. Die Vorschrift schützt z. B. "Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Früchte auf dem Feld", nicht aber wertvolle Industrieprodukte, Maschinen, Waren auf Privatgelände oder Land- und Luftfahrzeuge.
  • Zum anderen setzt Brandstiftung nach bisherigem Recht stets voraus, daß ein Gebäude o. ä. "in Brand gesetzt" wird. Das ist nach der Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das Gebäude oder Bestandteile, "die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sind", selbständig weiter brennen, auch wenn der Zündstoff erloschen ist. Da moderne Gebäude in der Regel so gebaut sind, daß gerade die wesentlichen Bestandteile selbst nicht brennbar sind, ist diese Voraussetzung häufig nicht mehr gegeben. Brandlegungen in modernen, feuerbeständig gebauten Gebäuden gefährden Leben und Gesundheit der Bewohner oftmals jedoch ebenso wie Brandstiftungen "herkömmlicher Art" (z. B. wegen Gas- und Rauchentwicklung).

Die Neuregelung unterscheidet zunächst einmal deutlicher als das geltende Recht zwischen Tathandlungen, die (nur) zu Sachbeschädigungen führen (vgl. § 306 neu) und solchen, die Leib oder Leben anderer Menschen zumindest gefährden (vgl. §§ 306 a bis c neu). Dabei wird zum einen der Katalog der Brandobjekte modernisiert, zum anderen wird zur Schließung von Strafbarkeitslücken zusätzlich zum "Inbrandsetzen" die neue Tathandlung "Zerstören – ganz oder teilweise – durch Brandlegung" eingeführt.

Die Strafrahmen der neuen Vorschriften (§§ 306 bis 306 f) sind entsprechend der Zielsetzung der gesamten Reform vor allem nach der Natur des geschützten Rechtsguts bzw. dessen Gefährdungsgrad abgestuft. Hervorgehoben seien die folgenden Strafdrohungen (soweit nicht anders vermerkt Vorsatztaten):

  • Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren (bei Einfügung einer Strafzumessungsregel für minder schwere Fälle), wenn infolge der Brandstiftung nur eine der im modernisierten Katalog genannten Sachen Schaden nimmt und eine Gefährdung von Menschen ausbleibt (Brandstiftung, § 306 neu),
  • Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren (auch hier ergänzt durch eine Strafzumessungsregel für minder schwere Fälle), sofern entweder

    - das Tatobjekt eine Räumlichkeit ist, in der sich üblicherweise Menschen aufhalten – Fall der abstrakten Lebensgefährdung – oder

    - das Tatobjekt eine Katalogsache ist und bei der Tat ein anderer Mensch in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht wird – Fall der konkreten Gesundheitsgefährdung – (Schwere Brandstiftung, § 306 a neu),

  • Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu fünfzehn Jahren, wenn infolge einer Brandstiftung ein anderer Mensch eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet oder eine große Zahl von Menschen an ihrer Gesundheit geschädigt werden (Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b Abs. 1 neu),

  • Freiheitsstrafe von fünf Jahren bis zu fünfzehn Jahren, wenn der Täter bei einer schweren Brandstiftung

    - einen anderen Menschen in Todesgefahr bringt,

    - in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,

    - das Löschen des Brandes verhindert oder erschwert (Besonders schwere Brandstiftung, § 306 b Abs. 2 neu).

  • Lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, wenn der Brandstifter wenigstens leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht (Brandstiftung mit Todesfolge, § 306 c neu).