Der Nürnberger Prozeß
Das Internationale
Militärtribunal 1945-1946
Von Dr. Klaus Kastner, Präsident des Landgerichts Nürnberg- Fürth
Vorbemerkung
Ein Blick zurück in die Geschichte
Erste Schritte zur Schaffung eines IMT
Das Verfahren vor dem IMT 1945/1946
Die juristische Basis ("Nürnberg als Rechtsfrage")
Weiterer Verfahrensverlauf bis zur Urteilsverkündung
Was blieb von Nürnberg?
Die Angeklagten
Fußnoten
Dieser Tage (gemeint: November 1995) jährt sich zum 50. Male ein Geschehen, an das seinerzeit in Ost und West viele Hoffnungen geknüpft waren. Das Internationale Militärtribunal, das am 18.10.1945 mit der Eröffnungssitzung im Gebäude des Alliierten Kontrollrats in Berlin seine Tätigkeit begann, sollte nicht nur über die Größen des NS-Regimes zu Gericht sitzen. Das Verfahren und die Urteile, die am 1.10.1946 in Nürnberg gefällt wurden, sollten im Zeichen der Friedenssicherung stehen und in Zukunft Angriffskriegen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorbeugen. Man wollte "eine Art kategorischen Imperativ für das politische Verhalten des Einzelnen " normieren -so Dönitz Verteidiger Kranzbühler - und hoffte auf "ein Jahrhundert gerechten Friedens, aufgebaut auf der Macht des Rechts" - so der spätere US-Präsident Eisenhower.
Daß vieles von dem, was man von dem Nürnberger Verfahren erwartet hatte, sich schon wenig später als Illusion erwies, ist hinreichend bekannt. Aber gerade deshalb, weil vieles redliche Bemühen weitgehend vergeblich war, und angesichts der Erwartungen, die man heutzutage in die Tätigkeit internationaler Tribunale setzen zu dürfen meint, lohnt sich der Blick zurück auf ein Geschehen, welches das Völkerrecht als - solches zwar ein wenig "weitergebracht", das Miteinander der Völker aber keineswegs friedvoller gemacht hat.
"Für Deutschland und Europa ist dieser Urteilsspruch der Abschluß einer historischen Epoche, in der sich alles noch einmal konzentriert zu haben scheint, was die menschliche Geschichte an Grausamkeit, Gewalttaten und Elend hervorgebracht hat. Zugleich aber hat das Gericht wesentlich dazu beigetragen, daß Vergangenes für immer vergangen bleibt und sich nicht wiederholen soll. Hier geschieht etwas, was nicht nur die Vergangenheit betrifft, sondern auch die Zukunft, und deshalb ist die Führung dieses Prozesses und insbesondere das Urteil von historischer Bedeutung für die ganze Welt. Jetzt ist durch ein internationales Gerichtsverfahren und ein autoritatives Urteil festgelegt worden, daß Recht auch im Leben der Völker Recht bleibt, damit im Leben der Völker Sicherheit und Frieden bewahrt bleiben". 1 Bis es freilich zum Urteilsspruch am 1.10.1946 kam, war für die Organisatoren des Internationalen Militärtribunals (IMT) und die Gerichtsdelegationen der Vier Großen - USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich - ein langer und beschwerlicher Weg zurückzulegen. In der europäischen Geschichte und im Völkerrecht war ein Prozeß gegen die führenden Männer des Verlierers eines Krieges - Militärs, Politiker und Wirtschaftsführer - ein novum.
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde in Art. I, XVI und XVII des Teilfriedens zu Osnabrück (1648/ 49) eine allgemeine Amnestie verkündet, allerdings verbunden mit der Warnung, daß jeder künftige Friedensstörer der Strafe verfalle. 2 Ähnlich hielt man es in Art. 2 des Stockholmer Friedensvertrages zwischen Schweden und Preußen von 1720, 3 der nach der Erklärung einer wechselseitigen Amnestie mit den Worten schließt: "... das alles soll hiermit todt und ab seyn". Napoleon, der mit seinen Kriegen ganz Europa überzogen hatte, wurde 1815 zwar nach St. Helena im Südatlantik verbannt; ein Prozeß wegen der verheerenden Folgen seiner imperialistischen Politik für den europäischen Kontinent wurde ihm aber nicht gemacht.
Noch das IV. Haager Übereinkommen von 1907 ging von der alleinigen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten als Völkerrechtssubjekte für Kriegsverbrechen aus; es begründete aber deren Verpflichtung, Kriegsverbrecher aus ihren eigenen Reihen zu bestrafen. 4
Erst mit Beendigung des 1. Weltkrieges ändert sich das Bild: Die Entente-Mächte verlangen die Auslieferung von 901 Deutschen zur Aburteilung wegen Kriegsverbrechen durch einen von fünf Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan) zu bildenden besonderen Gerichtshof, der dem damals neu geschaffenen Völkerbund angegliedert werden sollte. Im Vertrag von Versailles vom 28.6.1919 5 wird der deutsche Kaiser Wilhelm II wegen "schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge" unter öffentliche Anklage gestellt (Art. 227). Überdies wird in Art. 228 ff das Deutsche Reich verpflichtet, in die Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher einzuwilligen und diese auszuliefern. So weit kommt es freilich nicht. Aufgrund Reichsgesetzen vom 18.12.1919 6 und vom 24.3.1920 7 werden 1744 Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen eingeleitet. 13 Verfahren führen zur Anklage vor dem Reichsgericht in Leipzig. Die Zahl der Verurteilungen und der Freisprüche hält sich in etwa die Waage. Dieses Ergebnis, die durchweg geringen Strafen und deren laxer Vollzug führen zwar zu Protesten der Entente-Mächte. Dabei bleibt es aber.
Am 1.9.1939 greift Hitlers Wehrmacht Polen an. Der damit entfachte 2. Weltkrieg gewinnt mit dem überraschenden Überfall der deutschen Armeen, auf die bis dahin verbündete Sowjet-Union ("Unternehmen Barbarossa") am 22.6.1941 eine neue Dimension. Schon im Januar 1942 fordern die in London ansässigen Exilregierungen von neun europäischen Staaten, die bis dahin Hitlers Imperialismus zum Opfer gefallen waren, in der "Declaration of St. James" die gerichtliche Bestrafung der Kriegsverbrecher. Im Oktober 1942 bilden 17 Staaten (ohne die Sowjetunion, welche die Mitwirkung ablehnt, weil ihrem Antrag, mit jeder ihrer 16 Teilrepubliken vertreten zu sein, nicht stattgegeben worden war) die Kommission der Vereinten Nationen für die Nachprüfung von Kriegsverbrechen. Ihr kommt die Aufgabe zu, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit und zeitnah zu dokumentieren. Angesichts der immensen Kriegsanstrengungen in den Jahren ab 1941 sind diese Bemühungen vorerst freilich eher marginal. Im Jahre 1943 taucht plötzlich die Forderung nach einer sofortigen Exekution von Kriegsverbrechern auf. Im Umfeld des US-Präsidenten Roosevelt wird ein solches Vorgehen zeitweilig unverhohlen favorisiert. Die Haltung Großbritanniens dazu ist zurückhaltend. Lord-Kanzler Simon wendet sich im Dezember 1943 sogar ausdrücklich gegen Massenvergeltungen: 8 "Wir dürfen trotz aller Versuchungen und Erschütterungen durch die Leiden anderer niemals versäumen, der Gerechtigkeit um ihrer selbst willen Genüge zu tun. Es dürfen keine Massenhinrichtungen von Namenlosen stattfinden, bloß weil Hinrichtungen von Massen auf der anderen Seite stattgefunden haben. Wir würden unseren eigenen Ruf gefährden und nicht zum Fortschritt der Menschheit beitragen, wenn das, was wir tun, nicht mit dem Begriff der Gerechtigkeit in Einklang stünde". In der Folgezeit wendet man sich auch in den USA von der Exekutionsidee wieder ab. Ende Oktober 1944 unterbreitet eine von US-Kriegsminister Stimson und General McCloy eingesetzte Studienkommission von Kriegsrechtlern den Plan, einen Internationalen Gerichtshof zu errichten, vor dem Anklage "wegen Führung eines aggressiven und unprovozierten Krieges unter Verletzung des Kelloggpaktes" 9 erhoben werden soll.
Auf den Konferenzen von Teheran (29. 11. 1943) und Jalta (12. 2. 1945) finden die Großen Drei - Churchill, Roosevelt und Stalin - eine grundsätzliche Einigung dahin, daß Kriegsverbrechen im Rahmen gerichtlicher Verfahren geahndet werden sollen. Offen bleibt indes, welche Personen zu dem ersten Verfahren angeklagt werden, welche Straftaten (Tatbestände) ihnen angelastet werden und nach welcher Verfahrensordnung verhandelt werden soll.
Gericht und Anklagebehörde werden von den Regierungen der vier Mächte besetzt: Die Amerikaner entsenden Francis A. Biddle (bis Juni 1945 Justizminister) und John J. Parker (Bundesrichter) als Ergänzungsrichter. Die Sowjetunion nominiert den Vorsitzenden ihrer Verhandlungsdelegation Iola T Nikitschenko (Generalmajor und Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs der UdSSR) und als Ergänzungsrichter das Mitglied eines sowjetischen Distriktgerichts Alexander E Wolchkow. Großbritanniens Mitglieder sind Geoffrey Lawrence (Mitglied eines court of appeal), der später von den Mitgliedern des Tribunals als dessen Vorsitzender gewählt werden wird, und der Richter am High Court Norman Birkett als Ergänzungsrichter. Frankreich bestimmt Henri de Vabres (Universitätsprofessor für Völkerrecht an der Sorbonne) und R. Falco (Mitglied eines Appellationsgerichts) als Ergänzungsrichter.
In der Anklagebehörde stellt jede der vier Nationen einen "Hauptankläger". Die USA repräsentiert deren Organisator des IMT, Justice Robert H. Jackson. Die UdSSR ist durch General R. A. Rudenko, Großbritannien durch Generalstaatsanwalt Sir Hartley Shawcross und Frankreich durch Francois de Menthon vertreten.
In Nürnberg beginnen unverzüglich die Vorbereitungen zur Umrüstung des Justizpalastes für Zwecke des IMT. Die deutschen Justizbehörden müssen am 10. August binnen weniger Stunden den gesamten Gebäudekomplex räumen. Die 1. US-Infanterie-Division organisiert den Umbau des Gebäudes, insbesondere des Schwurgerichtssaales, die Bereitstellung von Quartieren, das Heranschaffen von Belastungsmaterial aus deutschen Verwaltungsbeständen in Berlin, München u.a. und die Vorführung von Personen als Angeklagte und Zeugen. In der Frage, wieviele Personen für das erste Verfahren angeklagt werden sollen, ist man sich unter den Alliierten lange uneinig. Großbritannien bevorzugt eine geringe Zahl, fünf oder sechs, während die USA an 16 NS-Repräsentanten denken. Schließlich einigt man sich gar auf 24 Personen, die als Hauptkriegsverbrecher sich vor dem Tribunal der Siegermächte verantworten sollen.
Wortreich, tiefschürfend oder demagogisch - je nach politischem Standort - kündigen die Berliner Zeitungen schon Anfang Oktober 1945 mittels umfangreicher Vorberichte das weltgeschichtliche Ereignis an, nämlich den Beginn des ersten Verfahrens vor dem IMT. Die Eröffnungssitzung findet am 18. Oktober 1945 im großen Sitzungssaal des ehemaligen Kammergerichtsgebäudes am Kleistpark statt, in dem noch vor Jahresfrist Freislers Volksgerichtshof gegen die Mitglieder der Verschwörung des 20. Juli 1944 verhandelt hatte. Schlagzeilen wie "Von den Völkern der Erde werden sie gerichtet" oder "Die Völker klagen an" beherrschen das Bild. Die Erwartungen, die an das Tribunal geknüpft werden, sind hoch: "Aus dem Weg der Geschichte wird das abscheulich Faschistische weggeräumt. Die Menschheit wird auf dem sicheren Weg neuer Siege der Kultur und der Zivilisation schreiten".
Das Geschehen am 18.10.1945 ist indes eher ernüchternd. Dem Gericht, dessen Vorsitz der sowjetische Richter Nikitschenko innehat, werden die Anklageschriften vorgelegt. Nach 50 Minuten geht man wieder auseinander. Der Gerichtshof hat sich für den 20. November in Nürnberg vertagt. Die Angeklagten haben nun Gelegenheit, sich einen Verteidiger zu wählen und zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu nehmen.
Noch im Vorfeld der Verhandlung stellt das Tribunal das Verfahren gegen den 75jährigen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wegen Verhandlungsunfähigkeit ein. Mit Krupp sollte ein Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie vor Gericht stehen. Doch versehentlich war der Seniorchef angeklagt worden. Dem US-Ankläger Jackson ist der Wegfall des einzigen Repräsentanten der deutschen Industrie zuwider. Er will zur Vermeidung einer Verfahrensverzögerung kurzfristig und formlos Krupps Sohn Alfried in das Verfahren als Angeklagten einbeziehen. Doch der britische Ankläger Shawcross widersetzt sich diesem Vorhaben mit der Begründung, daß man vor einem Gerichtshof und nicht auf dem Sportfeld stehe, wo man einen erkrankten Spieler einfach auswechseln kann. Und das Tribunal entscheidet gegen Jackson.
Zuerst folgt auf die Anhörung der Angeklagten, die sich allesamt als "nichtschuldig" bezeichnen, die Eröffnungsrede Jacksons, der durchaus einräumt, daß die Hauptverhandlung nicht bis in alle Einzelheiten vorbereitet ist. Er begründet dieses Manko mit dem Gebot der Stunde, möglichst zeitnah über die den Angeklagten angelasteten Vorwürfe zu richten. Dabei stellt er das novum eines Internationalen Gerichtshofes in der Geschichte der Völker klar heraus: "Daß vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richtspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat".
An diesem Punkt der tour d'horizon durch den Verfahrensverlauf erscheint es angezeigt, die inmitten stehenden Rechtsprobleme wenigstens knapp anzusprechen: 16
1. Der Vorwurf steht nach wie vor im Raum, das Tribunal sei von den Alliierten, also den Kriegsgegnern Deutschlands, initiiert worden und deshalb nicht als unabhängiges Gericht anzusehen. Fraglos hatten die USA organisatorisch und inhaltlich das Gesamtkonzept für das IMT entworfen und auch das Verfahren selbst auf den Weg gebracht. Da lag es auf der Hand, daß sie - neben den Vertretern anderer Staaten auch die Position eines Richters übernehmen wollten. Zwar ist mit der Besetzung der Richterbank durch die Siegermächte das Postulat der Unparteilichkeit berührt. Indes ist es unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich, daß Sieger über gefangene Größen einer feindlichen kriegführenden Macht zu Gericht sitzen. Der Philosoph Jaspers greift noch weiter: 17 " Der Prozeß ist das Ergebnis der Tatsache, daß nicht wir uns von dem verbrecherischen Regime befreit haben, sondern daß wir durch die Alliierten von ihm befreit worden sind". Der Historiker Golo Mann zieht - zwanzig Jahre später - etwas nüchterner die Folgerung: 18 "Sieger-Justiz ohne Zweifel und dadurch beeinträchtigt, daß nach den 'Kriegsverbrechen' der Sieger niemand fragen durfte; aber wer sonst hätte den Prozeß führen sollen?"
Der Gerichtshof selbst war der Auffassung, daß dem Londoner Statut keine rückwirkende Bedeutung zukomme, sondern daß darin nur all das kodifiziert werde, was zuvor schon Bestandteil des Völkerrechts gewesen sei. 19 In der späteren Diskussion wird ergänzend ins Feld geführt, daß das Verbot des Ex-post-facto-Gesetzes Ungerechtigkeiten verhindern solle; da das Verfahren zur Aburteilung der Kriegsverbrecher im Kern keine Ungerechtigkeit gewesen sei, werde auch dieses Prinzip nicht verletzt. 20
5. Das nach früheren kriegerischen Auseinandersetzungen stets berücksichtigte völkerrechtliche Prinzip des "tu quoque" (
Sinngemäße Übersetzung: "Du doch auch"), das in wechselseitigen Amnestieklauseln seinen Niederschlag gefunden hatte, galt im Nürnberger Verfahren überhaupt nicht. Denn Art. 18 des Londoner Statuts sah nur eine "Verhandlung der durch die Anklage gemachten Punkte" vor.7. Schließlich normierte Art. 8 des Statuts, daß "Handeln auf Befehl" nicht als Strafausschließungsgrund, sondern allenfalls als Schuldmilderungsgrund zu berücksichtigen sei. An diesem Punkt tritt das Dilemma zutage, das man jetzt mit der sog. Radbruch´schen Formel als Antwort auf das Argument: "Was gestern Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" zu lösen versucht. Radbruch, 23 der dem positiven, durch Satzung und Macht gesicherten Recht durchaus auch dann den Vorrang einräumt, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, verneint die Bindung an das gesetzte Recht und an den Befehl, wenn "der Widerspruch des Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als 'unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen hat". 24
Nach den Eröffnungsplädoyers bildet die Vorführung eines Dokumentarfilmes über KZ-Greuel, in den auch deutsches Archivmaterial eingearbeitet ist, den Auftakt der Beweisaufnahme. Die Bilder, die er zeigt, sind selbst den Angeklagten "zuviel". Lediglich Heß meint: "Das glaube ich nicht". Die Anhörung der Angeklagten offenbart schonungslos, daß es eine in sich geschlossene, disziplinierte Hierarchie unter den NS-Größen nicht gab. Nicht wenige beschuldigen sich auch gegenseitig und zerstreuen so die bis dahin weit verbreitete Vorstellung von einer einheitlichen Führung des nationalsozialistischen Deutschland. Dem Londoner Statut folgend müssen nicht alle in Betracht kommenden Zeugen vor dem Gerichtshof selbst aussagen. Nur so ist zu erreichen, daß das gesamte Geschehen zwischen 1933 und 1945, das soviel Unheil über ganz Europa gebracht hatte, in einem knappen Jahr vor dem Gerichtshof ausgebreitet werden und zur Entscheidung gestellt werden kann.
So werden an 218 Verhandlungstagen insgesamt 236 Zeugen persönlich vom Gerichtshof gehört und ergänzend dazu rund 200.000 Affidavits (eidesstattliche Versicherungen) und schier unzählige Dokumente, teils deutscher, teils alliierter Herkunft, vorgelegt. Doch dieser äußere Ablauf ist nur die eine Seite der Medaille. Die Verteidigung, die anfangs einige Mühe hat, mit der ihr ungewohnten Prozeßordnung - Duell zwischen Anklägern und Verteidigern - zurecht zu kommen, gewinnt mit der Zeit an "Terrain". Sie kann sogar die Anschuldigung zerstreuen, die deutsche Wehrmacht habe das Katyn-Massaker begangen. Auch kommt - sehr zum Mißfallen der Sowjets - wenigstens andeutungsweise die Komplizenschaft Stalins und Hitlers, dieser verbrecherische Pas de deux zur Sprache, der am Vorabend des 2. Weltkrieges mit dem Abschluß des Nichtangriffspaktes samt Geheimabkommen vom 23.8.1939 begann und in der Aufteilung Polens und des Baltikums zwischen Deutschland und der Sowjetunion eine bis heute wirkende Konkretisierung fand.
Der Urteilsspruch vom 30.September/1.Oktober1946 wird dementsprechend unterschiedlich aufgenommen. Nicht wenige hatten ausnahmslos Todesurteile erwartet, wie sie einem "Tribunal der Sieger" gut zu Gesicht gestanden hätten. Die einen begrüßten die an der individuellen Schuld ausgerichtete Bestrafung der Angeklagten, andere wollten gegen alle drakonische Strafen. In der sowjetischen Besatzungszone gibt es - von der SED arrangiert - sogar offizielle Protestdemonstrationen gegen die für zu milde gehaltenen Urteile: 12 Todesurteile, drei lebenslängliche und vier zeitliche Freiheitsstrafen sowie drei Freisprüche. Daneben werden vier Organisationen für verbrecherisch erklärt: SS, SD, Gestapo und das Führerkorps der NSDAP. Sogar seitens des Gerichts gibt es eine "dissenting opinion": Das sowjetische Mitglied Nikitschenko erklärt in der Nachmittagssitzung des 1.10.1946 zu Protokoll, daß er die drei Freisprüche und das (
nur) Lebenslänglich für Heß nicht für gerechtfertigt halte; auch hätten das Reichskabinett, der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht für verbrecherisch erklärt werden müssen.Die Verteidiger der Verurteilten - ausgenommen Speer, der das Urteil nicht als ungerecht empfindet - reichen beim Alliierten Kontrollrat in Berlin Gnadengesuche ein, die indes erfolglos bleiben.
Bis zum 18.7.1947 bleiben die sieben zu Freiheitsstrafen Verurteilten in Nürnberg. Erst dann werden sie in die Strafanstalt Berlin-Spandau eingeliefert, die - allgemein als Alliiertes Kriegsverbrechergefängnis bekannt - dem Alliierten Kontrollrat untersteht.In der Bewachung wechseln sich dort bis 1987 die Großmächte in monatlichem Turnus ab.
Als erster der sieben Gefangenen wird am 4.11.1954 von Neurath wegen Krankheit entlassen; er stirbt 1956. Ebenfalls wegen Krankheit endet für Raeder am 26.9.1955 die Haft; er stirbt 1960. Dönitz wird nach voller Verbüßung der Strafe am 1.10.1956 entlassen; er stirbt 1980. Am 16.5.1957 folgt die Entlassung Funks, der 1960 stirbt. Nach Verbüßung ihrer zwanzigjährigen Freiheitsstrafe werden am 1.10.1966 Speer und von Schirach entlassen; beide schreiben dann Bücher über ihr Leben; von Schirach stirbt 1974, Speer 1981. Heß verbleibt seit dem Herbst 1966 als einziger Häftling in Spandau. Er ist 93 Jahre alt, als er im August 1987 Selbstmord begeht.
Schon im Stadium der Vorbereitung, mehr aber noch während des Verfahrens wurden die unterschiedlichen Motive deutlich, die seitens der Alliierten dem Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher zugrundelagen. Da ist auf der einen Seite die Stellung der Sowjets, bei denen - wie schon in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg - Schauprozesse zur politischen Praxis gehören und deren erklärtes Ziel die Hinrichtung aller Angeklagten ist. 27 Die USA haben neben der Bestrafung der Angeklagten auch die Weiterentwicklung des Völkerrechts und die Friedenssicherung vor Augen. Diesem Zweck diente insbesondere die dem kontinentaleuropäischen Recht fremde Statuierung des Straftatbestandes 1 im Londoner Statut: Teilnahme an einem Plan einer Verschwörung zu einem Verbrechen gegen den Frieden (conspiracy). Dementsprechend hoch waren auch die Zukunftserwartungen, die man hegte. Stellvertretend für viele Stimmen soll die Vision Radbruchs stehen: 28 "Die zweite Wirkung des Nürnberger Verfahrens ist der Zukunft vorbehalten. Manche juristische Bedenken, welche gegen die Rechtsgrundlagen dieses Verfahrens vorgebracht worden sind, müssen zurücktreten hinter dem großartigen Rechtsfortschritt, der sich in Nürnberg ankündigt. Die doppelte Fortbildung des Völkerrechts ist dort im Werden: D as Völkerrecht soll zu einer Rechtsordnung werden, die nicht nur die Staaten verpflichtet, vielmehr auch die Staatsmänner und die Staatsbürger; und dieses auch die Einzelnen verpflichtende Völkerrecht soll durch ein neu zu schaffendes Völkerstrafrecht gewährleistet werden. Fortan wird auch der Mann der Feder, der nur befiehlt und die eigenen Hände nicht mit Schmutz oder Blut besudelt, mit seiner Person haften für das, was unter seinem Banne andere ausgeführt haben. Wo bei Staatsmännern das Gewissen nicht mehr spricht, wird in Zukunft vielleicht die Drohung der Strafe eine wirksamere Sprache führen. Ob dieser Fortschritt in Nürnberg sich wirklich vollzogen haben wird, kann freilich erst eine Zukunft lehren, in der nicht nur der Besiegte vor einem Gericht der Sieger, sondern bei gleicher Schuld auch Mächtige unter dem Richtspruch der doch noch mächtigeren Gesamtheit der Nationen sich werden verantworten müssen".
Es bleibt doch einiges: Neben der - nach allgemeiner Auffassung - verdienten Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher, die in ihrer Differenziertheit auch ein Zeichen für die Berücksichtigung individueller Schuld ist, kommt dem geschehensnahen Aufarbeiten des NS-Regimes und seines Wütens in ganz Europa im Rahmen der Beweiserhebung vor dem Internationalen Militärtribunal besonderer Wert zu. Dieses Anliegen hatte auch der stellvertretende US-Ankläger Telford Taylor im Blick, wenn er in seinem Schlußplädoyer am 30.8.1946 hervorhebt: "Wir können hier nicht die Geschichte korrigieren, aber wir können danach trachten, daß sie wahrheitsgemäß geschrieben wird". 29 Schließlich mag das Richten des Tribunals als Appell in dem Sinne verstanden sein, wie ihn Churchill während des Krieges anläßlich einer Unterhausrede am 8.9.1942 formulierte: "... Zur unaustilgbaren Warnung für kommende Zeiten, damit spätere Generationen sagen können: So enden alle, die Gleiches wieder tun." 30
Siehe auch: Foto der Anklagebank
Bormann Martin, geb.1900, Landwirt, seit 1933 Stabsleiter bei Rudolf Heß. Während des 2. Weltkrieges engster Mitarbeiter Hitlers im Führerhauptquartier. Sein Schicksal bei Kriegsende ist ungewiß. Angeklagt wegen 1, 3 und 4. Verurteilt wegen 3 und 4 zum Tod. Ihm wurde die Mitverantwortung an allen Maßnahmen Hitlers seit 1941 angelastet.
Dönitz Karl, geb.1891, Großadmiral. Er bildete nach Hitlers Tod am 2. 5. 1945 eine "Geschäftsführende Reichsregierung ". Angeklagt wegen 1, 2, und 3. Verurteilt wegen 2 und 3 zu 10 Jahren Haft wegen Mitwirkung bei Angriffshandlungen und der Kenntnis, des Erlasses und der Weitergabe verbrecherischer Befehle. Entlassen 1956. Gestorben 1960.
Frank Hans, geb.1900, Rechtsanwalt. Seit 1939 Generalgouverneur in Polen. Angeklagt wegen 1, 3 und 4. Verurteilt wegen 3 und 4 zum Tod im Hinblick auf seine Gewaltherrschaft in Polen, die zwangsweise Verschleppung von Polen zur Arbeit nach Deutschland und die Mitwirkung an der planmäßigen Ermordung von Juden.
Frick Wilhelm, geb.1877, Reichsinnenminister. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 2, 3 und 4 zum Tod als Verantwortlicher für gewalttätige Besatzungspolitik, Judenverfolgung und Euthanasie.
Fritzsche Hans, geb.1900, Journalist. Seit Mai 1933 Leiter des Nachrichtenwesens in der Presseabteilung des Propagandaministeriums. Gewissermaßen Ersatzangeklagter anstelle von Goebbels, der Selbstmord begangen hatte. Angeklagt wegen 1, 3 und 4. Freigesprochen. Sodann im Entnazifizierungsverfahren zu 9 Jahren Arbeitslager verurteilt. Entlassen im Herbst 1950. Gestorben 1953.
Funk Walter, geb. 1890, Wirtschaftsjournalist. Reichswirtschaftsminister und ab 1939 Präsident der Deutschen Reichsbank. Angeklagt wegen 1,2,3 und 4. Verurteilt wegen 2,3 und4 zu lebenslanger Haft (verantwortlich für Angriffsvorbereitungen und ausbeuterische Besatzungspolitik). 1957 wegen Krankheit entlassen. Gestorben 1960.
Heß Rudolf, geb.1894. Seit 1933 Stellvertreter des Führers in der NSDAP. Flog in nicht geklärter Mission am 10. Mai 1941 nach Schottland. Wurde dort interniert. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 1 und 2 zu lebenslanger Haft (mitverantwortlich als Stellvertreter Hitlers in der NSDAP an Hitlers Kriegspolitik bis 1941).
Jodl Alfred, geb.1890, Generaloberst. Chef des Wehrmachtführungsamtes und Berater Hitlers in strategischen und operativen Angelegenheiten. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen aller vier Punkte zum Tod als Mitverantwortlicher für die Planung und Durchführung von Angriffskriegen sowie für den Erlaß von rechtswidrigen Befehlen gegen Kriegsgegner und gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten.
Kaltenbrunner Ernst, geb.1903, Rechtsanwalt. Chef der Sicherheitspolizei und des Reichssicherheitshauptamtes. Angeklagt wegen 1, 3 und 4. Verurteilt wegen 3 und 4 zum Tod als Verantwortlicher für die Liquidierung politischer Gegner und für die Ermordung von Juden.
Keitel Wilhelm, geb.1882. Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen aller vier Punkte zum Tod als Mitverantwortlicher für die Planung und Durchführung von Angriffskriegen und den Erlaß von rechtswidrigen Befehlen gegen Kriegsgegner und gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten.
Ley Robert, geb.1890, Chemiker. Beseitigte 1933 die freien Gewerkschaften und führte seither - streng ideologisch ausgerichtet - die Deutsche Arbeitsfront. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Beging im Nürnberger Gefängnis am 26.10.1945 Selbstmord.
von Neurath Konstantin, geb. 1873. Seit 1908 im diplomatischen Dienst. Von März 1939 bis 1943 (ab 1941 beurlaubt) Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 1, 2, 3 und 4 zu 15 Jahren Haft als Mitverantwortlicher für Hitlers Aggressionspolitik und für die Besatzungspolitik in der "Resttschechei". 1954 wegen Krankheit entlassen. Gestorben 1956.
von Papen Franz, geb.1879. Vizekanzler im ersten Kabinett Hitlers 1933. Später Botschafter in Wien und Ankara. Angeklagt wegen 1 und 2. Freigesprochen. Im anschließenden Entnazifizierungsverfahren zu 8 Jahren Arbeitslager verurteilt. 1949 entlassen. Gestorben 1969.
Raeder Erich, geb.1876. Seit 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Angeklagt wegen 1, 2 und 3. Verurteilt wegen 1, 2 und 3 als Mitverantwortlicher für die Planung und Führung von Angriffskriegen und für den Erlaß und die Weitergabe verbrecherischer Befehle. 1955 wegen Krankheit entlassen. Gestorben 1960.
Rosenberg Alfred, geb.1893. Seit 1941 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 1, 2,3 und 4 zum Tod wegen der blutigen NS-Besatzungspolitik in Osteuropa.
Sauckel Fritz, geb.1894. Seit 1942 Generalbevollmächtigter Hitlers "für den Arbeitseinsatz" und als solcher verantwortlich für die Zwangsarbeit von über 7 Millionen Männern und Frauen aus allen besetzten Gebieten Europas in Deutschland. Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 3 und 4 zum Tod als Verantwortlicher für Verschleppung und Zwangsarbeit.
Schacht Horace Greely Hjalmar, geb. 1877, Bankier. Präsident der Reichsbank und Wirtschaftsminister. Seit 1944 im KZ Flossenbürg. Angeklagt wegen 1 und 2. Freigesprochen. Von deutschen Behörden inhaftiert bis 1948. Gestorben 1970.
von Schirach Baldur, geb.1907. Reichsjugendführer und ab 1940 Gauleiter von Wien. Angeklagt wegen 1 und 4. Verurteilt wegen 4 zu 20 Jahren Haft als Mitverantwortlicher für die Jugendverfolgung in der Ostmark. 1966 entlassen. Gestorben 1974.
Seyß-Inquart Alexander, geb.1892. Rechtsanwalt. 1940 bis 1945 "Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete". Angeklagt wegen 1, 2, 3 und 4. Verurteilt wegen 2, 3 und 4 zum Tod als Verantwortlicher für die grausame Besatzungspolitik und die Judenverfolgung in den Niederlanden.
Streicher Julius, geb.1885. Volksschullehrer. Als publizistisches Organ der von ihm betriebenen Judenhetze gründete er 1923 das Wochenblatt "Der Stürmer", dessen Eigentümer und Herausgeber er bis 1945 - auch nach seiner Absetzung als Gauleiter von Franken im Jahre 1940 - blieb. Angeklagt wegen 1 und 4. Verurteilt wegen 4 zum Tod als Verantwortlicher für die durch sein hetzerisches Schreiben verursachte Pogromstimmung und die Judenverfolgungen.
Siehe auch: Foto der Anklagebank
1 Peter Arndt (Kommentator der "Stimme Amerikas" am 2.10.1946) in: Die Neue Zeitung, Sonderausgabe am 2.10.1946, München, S. 3
2 Art. XVI u XVII des Osnabrücker Vertrages (zitiert nach Maser, Nürnberg - Tribunal der Sieger, 1977, S. 13 und 623
3 Zitiert nach Berber Völkerrecht, 2. Bd., 2. Aufl., S. 250
4 Berber (Fn 3) S. 24 1 ff
5 RGBI I 1919, 2. Bd., S. 687, 981
6 RGBI I 1919, 2. Bd., S. 2125
7 RGBI I 1920, 1. Bd., S. 341
8 Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse, 1951, S. 15
9 Gemeint ist der Briand-Kellogg-Pakt vom 27.8.1928, ein völkerrechtlicher Vertrag, der die Signaturstaaten verpflichtete, auf den Krieg als Mittel zur Durchsetzung nationaler Ziele zu verzichten. Das Deutsche Reich war Signatarstaat von Anbeginn. Ob dieser Übergang vom "ius ad bellum" zum "ius contra bellum" eine völkerrechtlich sanktionierte Strafnorm ist, war seinerzeit und auch im Jahre 1945 umstritten.
10 Im Juli 1945 kabelt Jackson an Präsident Truman: "Die Russen verhalten sich entnervend"; er ändere seine Vorschläge, "bevor wir einpacken"; vgl. Bradley F. Smith, Der Jahrhundertprozeß, 1977, S. 67
11 Der Nürnberger Justizpalast, errichtet 1909-1916, mit 22.000 qm Nutzfläche in ca. 530 Büroräumen und ca. 80 Sälen, war während des Bombenkrieges nur unwesentlich beschädigt worden. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das ebenfalls unbeschädigt gebliebene Gefängnis. Beide Komplexe sind miteinander durch einen unterirdischen Gang verbunden und als Gesamtanlage von der Umgebung unschwer abzuschirmen. Dies war der entscheidende Gesichtspunkt für die Wahl Nürnbergs als Prozeßort. Freilich steht außer Frage, daß der Ort, an dem die Größen des Nazi-Regimes bei den alljährlichen Reichsparteitagen ihre Triumphe gefeiert hatten, sich auch als Prozeßort geradezu empfahl.
12 Zu weiteren Verfahren - ein zweites war beispielsweise gegen Industrielle geplant - kam es in der Folgezeit nicht mehr, da am Ende des ersten Verfahrens die Gemeinsamkeiten in der Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen vor einem international besetzten Gericht zwischen den Alliierten erschöpft waren.
13 Diese Tunnelverbindung unter der Gefängnismauer hindurch besteht schon seit eh und je.
14 Die Umbauten bringen es mit sich, daß der Saal größer ist und auf den damals gemachten Photoaufnahmen weiträumiger wirkt, als es heute nach dem 1961 durchgeführten "Rückbau" der Fall ist. Der Saal befindet sich jetzt in seinem ursprünglichen Zustand und wird seit 1962 wieder als Schwurgerichtssaal benutzt.
15 Die Verhandlungsberichte (einschließlich der Dokumentensammlung) sind veröffentlicht in: "Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg (Amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache)", Nürnberg 1947. Ein photomechanischer Nachdruck ist 1984 und 1994 als Reprint im Delphin-Verlag GmbH München und Zürich erschienen. Es handelt sich - ohne Dokumente - um 22 Bände mit 14.638 Seiten und einen Registerband mit 635 Seiten.
16 Eine auch nur oberflächliche Behandlung der in Zusammenhang mit der Tätigkeit des IMT auftauchenden Rechtsproblenne verbietet sich aus Platzgründen. Die dazu im Laufe eines halben Jahrhunderts erschienene Literatur, namentlich in deutscher und in englischer Sprache, ist Legion. Eine jüngere und sehr aufschlußreiche Publikation stammt aus der Feder des beigeordneten Anklägers der US-Delegation, Brigade-General Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse - Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994 (Originalfassung New York 1992)
17 Karl Jaspers, Hoffnung und Sorge. Schriften zur deutschen Politik 1945-1965, 1965, S. 95
18 Golo Mann Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 1966, S. 972
19 IMT-Protokolle 22. Bd., S 523
20 Woetzel The NurembergTrials in International Law, London 1962, S. 243 f
21 IMT-Protokolle 19. Bd S 518
22 IMT-Protokolle 19. Bd. S 630
23 Gustav Radbruch (1878-1949), Rechtspolitiker und Rechtsphilosoph, war Ordinarius in den Universitäten Königsberg, Kiel und Heidelberg und 1921-1923 Reichsjustizminister.
24 Auf die Radbruch'sche Formel hat sich der BGH bei seinem Urteil im sog. ersten Mauerschützenprozeß gestützt (NJW 1993, 141).
25 Sowohl die Turnhalle als auch der größte Teil des 1865 erbauten Gefängnisses sind in den achtziger Jahren Neubauten der Untersuchungshaftanstalt und der Gefängniswerkstätten gewichen.
26 Bormann war in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden. Ob er bei den Endkämpfen um Berlin gefallen war oder - nach Südamerika? - entkommen ist, bleibt wohl für immer ungeklärt. Göring nahm sich wenige Stunden vor der Hinrichtung mittels einer Giftkapsel das Leben, die ihm wahrscheinlich von seinem US-Bewacher, dem Leutnant Wheelis, zugesteckt worden war; vgl. Taylor (Fn 16) S. 718 f
27 Der stellvertretende sowjetische Außenminister Wyschinski hatte anläßlich eines Abendessens, das Jackson zu Ehren des sowjetischen Gastes am 30.11.1945 im Nürnberger Grand Hotel gab, "auf die Verurteilung und Hinrichtung aller Angeklagten" einen Toast ausgebracht; vgl. Gründler-Manikowsky, Das Gericht der Sieger, 1967, S. 32. Im gleichen Sinne schloß der sowjetische Ankläger Rudenko am 30.7.1946 sein Plädoyer ab, in dem er die Hinrichtung aller Angeklagten gefordert hatte: "Solch einem Urteilsspruch sieht die ganze fortschrittliche Menschheit mit Genugtuung entgegen" (vgl. IMT-Protokolle, 22. Bd. S. 22).
28 Jackson, Staat und Moral (mit einem Vorwort von G. Radbruch), München 1946, S. 5 f
29 IMT-Protokolle, 22. Bd. S. 340
30 Churchill, Reden 1942 - Das Ende des Anfangs, gesammelt von Charles Eade, Zürich 1948, S. 276
Nürnberger Prozesse (Übersicht)
|| Allgemeines || Geschichtliches
Justizpressestelle || Rechtsprechungs-Übersicht || Rechtsbegriffe
Homepage (mit Frames) ||
Homepage (ohne Frames)